Wie spreche ich mit meinem Kind über Krieg? – Tipps für Gespräche von Helmut Höfl

10.03.2022

--- Artikel aus dem Bayerwald-Boten ---

Der Krieg in der Ukraine ist auch für Kinder und Jugendliche eine psychische Belastung. Sie fühlen die allgemeine Unsicherheit und haben Angst. Wichtig ist, dass sie damit nicht alleine gelassen werden. Wie können Eltern ihrem Kind erklären, was Krieg bedeutet? Dazu spricht Helmut Höfl, Leiter des psychologischen Fachdienstes Ehe-, Familien- und Lebensberatung im Bistum Passau, gebürtiger Regener, im Interview mit dem Bayerwald-Boten.

Herr Höfl, Russland greift die Ukraine an. In den Nachrichten wurde der Begriff "Dritter Weltkrieg" gebraucht. Sollen Eltern mit ihren Kindern darüber sprechen?
Helmut Höfl: Ja, besonders, wenn sie als Eltern- oder Großelternteil von der Situation selbst betroffen sind. Wenn sie sich konkret um Menschen in der Ukraine Sorgen machen oder wenn sie selber Angst vor einem Flächenkrieg haben, der die Sicherheit und Freiheit ganz Europas bedroht. Dann tragen wir als Erwachsene emotionale Verantwortung.

Wie sieht die Verantwortung aus?
Höfl: Diese besteht zunächst darin, bei sich selber genau hinzuschauen und die Ängste nicht zu verdrängen. Wird darüber nicht gesprochen, sondern das Grauen verschwiegen, kommen Fragen und Spannungen auf. Diese beziehen Kinder schnell auf sich. Sie denken, irgendetwas hätten sie falsch gemacht, suchen die Schuld bei sich. Und sie glauben, sie müssten etwas machen, damit es Mama oder Papa wieder gut geht. Diese Verantwortung gehört nicht den Kleinen. Wir dürfen sie mit diesen Spannungen nicht allein lassen.

Wie sollten Eltern mit ihren Kindern ins Gespräch treten?
Höfl: Kleine Kinder spüren intuitiv, dass Erwachsene Stress und Angst fühlen, auch wenn sie es verbergen. Es ist daher sinnvoll, aktiv mit Kindern in den Dialog zu gehen und dabei von sich persönlich zu reden. Erwachsene können beispielsweise sagen: ,Es macht mich besorgt, wenn ich sehe, dass so viele Frauen und Kinder fliehen müssen und ihre Männer kämpfen und sterben vielleicht.‘

Wie kann man den Kindern erklären, welche Auswirkungen der Krieg auf das Leben der Menschen in der Ukraine hat?
Höfl: Die Folgen des Krieges dürfen konkret benannt werden: ,Er macht Häuser kaputt, man hat oft nichts mehr zu essen, und wenn die Sirenen heulen, muss man ganz schnell Schutz suchen.‘ Ich kann auch erklären, dass im Krieg tödliche Waffen eingesetzt werden, weil die Menschen nicht mehr reden, sondern nur noch streiten können. Kleine Kinder spielen dann oft Krieg nach, teilen die Welt in gut und böse ein und verarbeiten ihre Bedrängnis im kriegsähnlichen Spiel. Das sollte nicht abgewertet oder durch Vorträge kompliziert erklärt werden.

Wie kann man als Erwachsener über seine Gefühle sprechen?
Höfl: Eltern geben in der Regel Schutz und Sicherheit. Wenn ich als Erwachsener selbst Angst habe und darüber spreche, zeige ich, dass ich sie auf Distanz halten kann. Kinder bekommen unsere Gefühle mit. Wichtig ist allerdings, dass ich meine Angst nicht auf das Kind übertrage. Vielleicht so: ,Auch mir macht der Krieg Angst. Doch bei mir bist du sicher.‘ Damit mache ich meinem Kind klar, dass es nicht dafür zuständig ist, sich um mich zu kümmern. Gleichzeitig zeige ich ihm, dass Gefühle mit dazugehören.

Ist die Aussage "Ich habe Angst, aber bei mir bist du sicher" nicht doppeldeutig?
Höfl: Unsere Kinder haben schon lange erkannt, dass wir in Widersprüchlichkeiten leben. Dass es Frieden und Streit gibt. Dass heitere und dunkle Stimmungen in der Familie schnell wechseln können. Entscheidend ist, dass wir innerlich verbunden bleiben. Versteht mein Kind, wie ich über meine Sorgen spreche, oder verbirgt es aus Rücksicht auf mich seine Angst? Wenn das Kind beginnt, sich Gedanken zu machen, wie es mich als den Älteren wieder fröhlich machen oder den Menschen in der Ukraine helfen kann, sollten Eltern das Heft in die Hand nehmen. Damit verhindern wir, dass sich Kinder für unsere Gefühle verantwortlich zeigen. Und zugleich überlegen wir gemeinsam, was in der Situation helfen würde. Meist führt ein Impuls zum Handeln wieder in die selbstmächtige Position: ,Wir sind nicht ohnmächtig und ausgeliefert.‘

Wie könnte dieses Handeln aussehen? Haben Sie ein Beispiel?
Höfl: Wir könnten uns ein Bild machen: Was brauchen die Menschen dort in der Ukraine, wenn sie überfallen werden, fliehen und kämpfen müssen? Wir entwickeln gemeinsam Möglichkeiten, die Ideen umzusetzen. Manche legen einen Geldbehälter an und tragen eine Summe zusammen, die sie mit dem Kind gemeinsam an eine Hilfsorganisation überweisen. Wir fragen weiter: ,Was würde Dir helfen in dieser Lage?‘ Vielleicht entsteht eine kleine Postkarten-Aktion, oder die Eltern entschließen sich zum Blutspenden.

Wie reagieren Eltern, wenn sie bemerken, dass ihr Kind Angst hat?
Höfl: Fürchtet sich ein Kind, könnte eine Umarmung oder das Bauen eines sicheren Orts, z. B. einer Spielhöhle, helfen, wo sich das Kind aufgehoben fühlt. Angst zu haben, ist zunächst gut, weil sie uns vorsichtig macht. Es kommt darauf an, sie in ein Gefühl der Geborgenheit zu verwandeln.

Herr Höfl, was bedeutet Geborgenheit für Sie?
Höfl: Geborgenheit vereint das Gefühl der Schwäche und Stärke. Sie entsteht, wenn wir in unserer Bedürftigkeit nach Schutz gesehen werden. Wenn etwa die Mama anerkennt und ausspricht, dass ich mich als Kind hilflos und geängstigt fühle. Meist führt das bei uns Menschen, die wir Beziehungswesen sind, zur Solidarisierung und zum Trost. Wir geben uns gegenseitig Raum, die Angst zu zeigen und auszusprechen. Dadurch gewinnen wir ein Gefühl der Stärke. Dabei werfen aber meine Sorgen und Gedanken den Papa nicht um. Obwohl auch er fragt, was passiert, wenn Sicherheit und Wohlstand auch bei uns auf der Kippe stehen. Er weiß so viele Auswege. Geborgenheit ist ein Beziehungsgeschehen. Das Schlimmste ist, wenn Kinder Angst haben, sich bedroht fühlen und damit allein gelassen werden. Ist das der Fall, ist die Seele gefährdet.

Was sollen Eltern machen, wenn ihre eigenen Sorgen sie überfluten oder ihre Angst sie lähmt?
Höfl: Meist können sich Menschen mit starken Ängsten nicht so leicht die Hilfe suchen, die sie bräuchten. Wer sich etwa bei einem Freund, einer Freundin oder in einer Beratungsstelle Unterstützung holt, trägt in sich die gute Erfahrung: ,Reden hilft‘. Wo mich jemand einfühlsam versteht und zugleich Hoffnung macht, dass wir geborgen bleiben, dort entsteht Ruhe und Trost. Meist ziehen sich tiefer geängstigte Eltern zurück, reden nicht und meiden das Thema, oder sie übertreiben emotional, und aus der Kriegsangst wird ein Drama. Wenn ein Kind auf die elterliche Zukunftsangst trifft, kann etwas Zeitgewinn helfen. Ich sage dann: ,Darüber muss ich nachdenken, lass uns heute Abend gemeinsam reden.‘ Wichtig ist nur, das Thema dann nicht fallen zu lassen, sondern später wieder anzusprechen.

Wie sprechen Eltern mit Jugendlichen über den Krieg?
Höfl: Indem Eltern ihre Sichtweise mit Jugendlichen teilen und für Widerspruch Raum lassen, helfen sie ihnen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Gerade in der Pubertät werden Jugendliche zu den Eltern auf Distanz gehen. Sie müssen ihren eigenen Stand, ihre Haltung und ihre eigenen Werte finden – meist unter Gleichaltrigen. Dabei prüfen Jugendliche, ob die Weltsicht der Eltern oder wichtiger Bezugspersonen für sie logisch ist. Kaum ein Jugendlicher hat die Gewalt und das Grauen eines Krieges erlebt. Wenn überhaupt, kennen sie ihn aus dem Cyberspace. Dort war es harmlos, wenn Granaten einschlugen und Bomben ihr Ziel fanden. Hier ist es hilfreich, als Eltern bei sich zu bleiben, von den Erzählungen der Alten zu berichten und etwas Konkretes zu tun, auch wenn derzeit eine Friedensdemo zwecklos scheint. Manchmal helfen auch Medienkritik, verschiedene Blickwinkel und hinreichend Bildung gegen die Desinformation.


Wie sollen Jugendliche damit umgehen, wenn sie enttäuscht sind, dass der Stärkere recht bekommt, obwohl er Unrecht hat? Und wenn neben Angst auch Wut aufkommt?
Höfl: Eine wichtige Fähigkeit auf dem Weg zum Erwachsen-Sein ist das Aushalten von Frustration und Widersprüchen. Je älter wir werden, umso mehr kompensieren wir Ohnmacht und Hilflosigkeit mit Protest, Wut, Anklage. Hier gilt: Das Gefühl ernst nehmen und es nicht als kindliche oder jugendliche Spinnerei abtun. Das Bedürfnis dahinter ist meist, andere beschützen zu wollen. Oft geht es in den Diskussionen um die Suche nach der besseren Lösung: ,Wird es wirklich Menschen helfen, wenn wir Gewalt eskalieren lassen? Wem soll das nützen?‘ Wie die Angst, muss auch die Wut aufgefangen und in die Geborgenheit verwandelt werden. Das heißt, ich zeige meinem Kind, dass es mit seinem Ärger und seinem Frust nicht allein ist.


Wie reagiert man, wenn Kinder und Jugendliche auf sozialen Netzwerken mit Bildern, Videos und Berichten über den Krieg überflutet werden?
Höfl: Zunächst brauche ich selber einen Kompass durch die Flut der Nachrichten und Bilder und eine Begrenzung der Faktenflut. Manche verwechseln den Nachrichtenkonsum mit Kontrolle, die helfen soll, Ängste einzuhegen. Doch zu viele der Schreckensbilder mindern die Verarbeitungskapazität unseres Gehirns. Ich werde überflutet, langsam halten Resignation und psychische Kapitulation Einzug. Ein widerstandsfähiger Umgang mit der Kriegsrealität aber braucht das Gespräch über die aktuelle Lage. So wenig wir unsere Kinder abschirmen sollen und die Kriegsgefahren tabuisieren, so sehr müssen wir darauf achten, dass sie die schrecklichen Nachrichten besprechen und verarbeiten können. Und wir sollten uns klarmachen, dass wir sie nicht vor schwierigen Gefühlen schützen müssen. Wir dürfen sie nur nicht mit ihnen allein lassen.

Wie gehen Sie persönlich mit dem Krieg in Europa um?
Höfl: Noch vor kurzem beschäftigten mich die Spannungen unserer Gesellschaft im Hinblick auf die Impfpflicht. Schlagartig dreht sich jetzt die Aufmerksamkeit. Waren in der Pandemie Viele mit der Gefährdung nach innen beschäftigt, richtet sich jetzt das Sicherheitsbedürfnis massiv nach außen. Hier ist die Gefahr der Projektion nicht fern: es ist leicht, seine Angst unter Kontrolle zu bringen, indem ich den bösen Feind für krank erkläre. Doch das führt kaum zu einer guten Lösung. Deshalb werbe ich dafür, dass wir unsere Verletzlichkeit zeigen und aus den Bunkern unseres Individualismus herauskommen. Reichen wir uns die Hand! So werden wir die Angst und das Grauen bestehen.


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