Das etwas andere Virus... Einsamkeit und die Corona-Krise

24.03.2020

Beobachtungen von Helmut A. Höfl – Text erschienen in der PNP am 24.03.2020. Ein Christ betritt die Kirche, streckt die Hand aus Richtung Weihwasserbecken. Das Becken ist leer. Der Gottesdienst beginnt. Der Gläubige streckt die Hand aus zum Friedensgruß. Sein Nachbar reagiert mit einem Kopfnicken. Der Gläubige erwartet die Mundkommunion. Er wird gebeten, darauf zu verzichten. Auch der Kelch wird an diesem Tag nicht gereicht. Ein Szenario, das unüblich klingt, vielerorts aber Wirklichkeit wird. Der Grund: der Ausbruch des Corona-Virus. Das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz hat Anfang März einige Vorsichtsmaßnahmen an die (Erz-) Bistümer ausgegeben, durch die eine Ansteckung mit dem Virus vermieden werden soll. Es sind Maßnahmen, die die Eucharistie allgemein, aber besonders das Erleben von Gemeinschaft im Gottesdienst beeinflussen. Das Virus, der überall lauernde, unsichtbare Feind, legt derzeit die Welt lahm. Angst und Panik breiten sich aus. Wärmende Wellen der Solidarität und panisches Gezerre um Klopapier gehören zur täglichen Berichterstattung. Die einzigartige Sorge um Risikopatienten führt in den Ausnahmezustand, um den rasanten Infektionsanstieg abzubremsen. Dabei ist das Corona-Virus heute nicht die einzige Krankheit, die die Gesellschaft befällt. Helmut Höfl, Leiter der Ehe-, Familien- und Lebensberatung (EFL) des Bistums Passau, spricht von einer ganz anderen „Epidemie“, die die Gesellschaft krankmacht: Einsamkeit. Allein an die Passauer Psychologische Beratungsstelle wenden sich jährlich über 1.500 Menschen, die auch von Einsamkeit betroffen sind. Einsam-Sein bedeutet nicht zwingend Allein-Sein. Höfl definiert Einsamkeit stattdessen als eine „Lebensrealität, die Stress auslöst, weil wir aufgrund unserer Sozialität Bindungswesen sind, die in Gemeinschaft sein möchten, aber durch die Einsamkeit nicht in Gemeinschaft sein können.“ Sie hat die Folgen eines Virus. Neben Stress und der Schwächung des Immunsystems, können Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Demenz die Konsequenzen sein. „Einsamkeit macht krank.“ Die Einsamkeit kann man nicht auf einen Erreger zurückführen, der über eine Kettenreaktion in der Bevölkerung verbreitet wird. Den einen Grund für die Einsamkeit gibt es nicht. Helmut Höfl sieht einen Auslöser jedoch in einer Entwicklung hin zur „Gesellschaft der singulären Wesen“. In einer solchen Gesellschaft falle es zunehmend schwer, sich jemandem zuzuwenden, der nicht vollends mit einem selbst übereinstimme. „Das Kulturmerkmal der Spätmoderne ist, dass jeder einzigartig werden muss; dass jeder Mensch so viel eigenes Profil entwickeln muss. Man hat dann in all der Einzigartigkeit, Originalität und Attraktivität praktisch nichts Gemeinsames mehr.“ Höfl verwendet das Bild der getrennten Lagerfeuer. Jeder sitze täglich – zumindest am Fernseher - vor seinem eigenen Feuer, bis es so viele Feuerstellen sind, dass es nichts Gemeinsames mehr gibt, worüber man erzählen und sich austauschen kann. Neben diesem generellen Grund für Einsamkeit, gibt es weitere spezifischere Auslöser. Erzwungene Isolation, wie sie derzeit Menschen in Quarantäne, aber auch Gefangene und Geflüchtete aushalten müssen. Oder die Trauer um einen geliebten Menschen sind sehr persönliche Gründe für die belastende Einsamkeit. EFL-Berater Helmut Höfl zufolge unterscheiden sich die Auswirkungen von Einsamkeit auf verschiedene Generationen. Gerade ältere Menschen würden dazu neigen, im Rückzug das Gelebte zu bilanzieren, und scheuten davor zurück, etwa neue Beziehungen zu beginnen. Im Alter gäbe es zugleich ein höheres Risiko, persönliche Bindungen zu verlieren. Um neue Beziehungen nach dem Verlust eines geliebten Partners aufzubauen, sei vor allem Resilienz notwendig. Betroffene müssen sich durch Trauer und Akzeptanz an das Gefühl der Einsamkeit gewöhnen und sich ihrer Verletzlichkeit stellen, um dann den Start in ein anderes Leben wagen zu können. „Wir alle brauchen ein Du. Wir müssen uns auf irgendwen beziehen können“, lautet Helmut Höfls Devise. Dabei muss das Du nicht zwingend ein Mensch sein. Jeder kann selbst entscheiden, in wem oder was sein Du liegt. So ist zum Beispiel der Glaube an Gott für viele Menschen richtungsweisend. Die Hauptsache ist aber, dass man sich an jemanden wenden kann. Dieses Wissen sei für unsere Gesellschaft notwendig. Höfl ist der Meinung, dass jeder auch eine gewisse Eigenverantwortung für seine Einsamkeit trägt. Es sei nicht immer nur Schicksal. Entscheidend dabei ist die Pflege persönlicher Beziehungen. In Zeiten eines Virus, der ganze Länder einschränkt, ist es schwierig, neben Hygiene und Vorsichtsmaßnahmen ebendiese Beziehungen und das seelische Wohlbefinden nicht aus den Augen zu verlieren. Nähe zu Anderen immunisiert gegen Einsamkeit, selbst wenn sie manchmal Gefahren bergen kann. Der Kontakt zu geliebten Menschen und die Verankerung in einer Gemeinschaft sind so auch heute wichtige Faktoren eines zufriedenen und gesunden Lebens. Auch wenn ein Virus genau das zu verhindern versucht. Ein besonderes Du kann ein Gesprächspartner werden, der im Rahmen einer psychologischen Beratung an einer der neun Beratungsstellen der EFL gefunden wird. Auch in Zeiten der Corona- Krise steht die Kirche als Trägerin dieses besonderen Angebots zur Verfügung. Die EFL-Beratung schließt ihre Räume nicht, sondern steht unter Wahrung aller Sicherheitsmaßnahmen für Einzel-, Paar- und Familiengespräche zur Verfügung. Dazu muss aber vorher unbedingt telefonisch ein Termin vereinbart werden. Hausbesuche oder ein offener Parteiverkehr sind nicht möglich. Die EFL ist wochentags von 8:30 bis 12:30 Uhr in der Region Passau unter 0851/34337 und in der Region Altötting unter 08671/1862 erreichbar.